III Dokmentation und Datensätze

Staaten

Preußen (1820-1914)

 

Staatsgebiet

Das Königreich Preußen liegt in Nord-, West- und Mitteldeutschland und teilt sich in zwei nicht miteinander verbundene Gebiete. Die im östlichen Teil Preußens gelegenen Provinzen Posen, Westpreußen und Ostpreußen sind mit Ausnahme der Jahre 1848-1851 nicht Bestandteil des Deutschen Bundes. Der kleinere westliche Teil Preußens grenzt an das Königreich Hannover, das Herzogtum Braunschweig, die Fürstentümer Schaumburg-Lippe, Lippe-Detmold und Waldeck, Kurhessen, das Großherzogtum Hessen-Darmstadt, das Herzogtum Nassau, die bayerische Pfalz ( Rheinkreis), die Herrschaft Meisenheim (zu Hessen-Homburg), die Fürstentümer Lichtenberg (zum Herzogtum Sachsen-Coburg-Saalfeld) und Birkenfeld (zum Großherzogtum Oldenburg), das Königreich Frankreich, das Großherzogtum Luxemburg und das Königreich der Vereinigten Niederlande.
Die nördliche Grenze des östlichen Teils von Preußen bildet die Ostsee. Der größere östliche Teil grenzt des Weiteren an die Groherzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz, das Kaiserreich Russland, das Königreich Polen, die Freie Stadt Krakau, das Kaisertum Österreich, das Königreich Sachsen, die Herzogtümer Sachsen-Gotha-Altenburg und Sachsen-Weimar-Eisenach, die Fürstentümer Schwarzburg-Sondershausen und Schwarzburg-Rudolstadt, das Kondominat Fürstentum Gera, Kurhessen, Hannover und Braunschweig und umschließt die Herzogtümer Anhalt-Bernburg, Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen. Im persönlichen Besitz des preußischen Königs befindet sich der Schweizer Kanton Neuenburg (Neuchâtel). Das Gebiet Neutral-Moresnet bei Aachen wird von Preußen und den Niederlanden gemeinsam verwaltet.
En- und Exklaven sowie Kondominate werden unter den jeweiligen preußischen Provinzen aufgeführt.
Hauptstadt und Regierungssitz ist Berlin, Residenzen befinden sich in Berlin, Potsdam und dem seinerzeit noch nicht eingemeindeten Charlottenburg bei Berlin sowie in Königsberg und Breslau.

 

Geographie/Topographie

Für das Königreich Preußen wird 1815 eine Fläche von 3.369 Quadratmeilen für die Gebiete innerhalb des Deutschen Bundes und 5.091 Quadratmeilen für das Gesamtgebiet inklusive der Provinzen Posen, Ostpreußen und Westpreußen sowie Neuenburg (Neuchâtel) angegeben. Der GIS-Wert für die Gebietsteile innerhalb des Deutschen Bundes beträgt 181.909km² und für Gesamtpreußen 273.796km² (1820). Nach Österreich bildet Preußen das zweitgrößte Land des Deutschen Bundes. Preußen teilt sich in zwei getrennt voneinander liegende Gebiete. Der größere östliche Teil umfasst die Provinzen Brandenburg, Provinz Sachsen, Pommern, Posen, Schlesien, Westpreußen und Ostpreußen. Der westliche Teil die Provinzen Niederrhein, Jülich-Kleve-Berg und Westfalen. Der Großteil des Landes gehört dem norddeutschen Flachland an.
An größeren Gebirgszügen liegen im östlichen Teil die Sudeten, im mittleren Teil Harz und Thüringer Wald und im westlichen Teil das Rheinische Schiefergebirge. Neuenburg wird vom Jura durchzogen. Höchste Erhebung ist die 1.603m hohe Schneekoppe im schlesischen Riesengebirge, dem höchsten Teil der Sudeten. Der östliche Teil Preußens liegt mit einer Küstenlänge von 869km an der Ostsee, der westliche ist Binnenland. Die größte Insel ist Rügen. Zudem finden sich an der preußischen Ostseeküste mit Kurischem Haff, Frischem Haff und Pommerschem Haff drei Süßwasser-Seen, die vom Meer nur durch schmale Landstriche getrennt sind. Den preußischen Staat durchfließen sechs große Ströme, im östlichen Teil sind dies Weichsel, Memel, Oder und Elbe, im westlichen Teil Weser und Rhein. Das Klima ist insgesamt gemäßigt, in den Ostseegebieten feucht und veränderlich und in den Gebirgsgegenden etwas rauer.

 

Geschichte bis 1815/20

Preußen trägt seinen Namen nach den baltischen Pruzzen bzw. Prußen, die um 1200 die Gebiete zwischen Litauen, Culmer Land, Weichsel und Nogat bewohnten. Im 13. Jahrhundert wurde das Gebiet nach und nach durch den Deutschen Orden erobert. 1466 musste der Deutsche Orden Pommerellen, Culmer Land, Ermland, Michelau sowie die Gebiete von Marienburg, Elbing, Christburg und Stuhm an Polen abtreten. 1530 wandelte der Hochmeister des Deutschen Ordens Albrecht von Brandenburg-Ansbach (1490-1568) das verbliebene Gebiet in Ostpreußen in das erbliche, unter Lehnshoheit Polens stehende Herzogtum Preußen um. 1618/19 wurde das Herzogtum mit Brandenburg in Personalunion vereinigt und 1657/60 vertraglich von der Lehnshoheit Polens gelöst. Damit war es ein souveränes Land der Kurfürsten von Brandenburg.
Am 18. Januar 1701 krönte sich Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (1657-1713) in Königsberg als Friedrich I. zum König in Preußen. Mit der auf die anderen brandenburgischen Länder übertragenen Königswürde ging zugleich der Name Preußen auf den brandenburgisch-preußischen Gesamtstaat über, wobei das ehemalige Herzogtum Preußen nicht zum Heiligen Römischen Reich gehörte.
Im Jahre 1702 erbte Friedrich I. die Grafschaft Lingen und das Fürstentum Moers, 1707 das Fürstentum Neuenburg (Neuchâtel) mit der Grafschaft Valangin. 1707/29 kaufte er die Grafschaft Tecklenburg sowie die Erbpropstei über Nordhausen und Quedlinburg. Sein Sohn Friedrich Wilhelm I. (1688-1740), der Soldatenkönig, erhielt Obergeldern und erwarb von Schweden 1720 im Frieden von Stockholm Vorpommern bis zur Peene mit Stettin, Usedom und Wollin. Friedrich II. (1712-1786), der Große, der sich seit 1772 König von Preußen nannte, eroberte in drei Kriegen den Großteil Schlesiens, erbte einen Teil Ostfrieslands und erlangte bei der Teilung Polens 1772 Westpreußen, das Ermland und den Netzedistrikt.
1791 erwarb Preußen unter Friedrich Wilhelm II. (1744-1797) die hohenzollernschen Markgrafschaften Ansbach und Bayreuth und erhielt in der zweiten und dritten Teilung Polens 1793 und 1795 Danzig, Thorn, Südpreußen und Neuostpreußen. 1795 fielen die gesamten linksrheinischen Gebiete an das revolutionäre Frankreich. Für diese Verluste erhielt Preußen im Reichsdeputationshauptschluss 1803 einen Gebietsausgleich im Umfang von 9.543 Quadratkilometern. Auf dem Wiener Kongress konnte Preußen trotz gewisser Verluste in Polen und der Abtretung Ansbachs und Bayreuths an Bayern mit dem Gewinn der späteren Provinzen Jülich-Kleve-Berg, Niederrhein, Westfalen und Sachsen sein Staatsgebiet noch einmal erheblich vergrößern.

 

Staats- und Regierungsform, Herrscherhaus

Das Königreich Preußen ist eine Monarchie. Regierendes Herrscherhaus ist die brandenburgisch-preußische Linie des Hauses Hohenzollern. Nacheinander regieren Friedrich Wilhelm III. (reg. 1797-1840) und sein Sohn Friedrich Wilhelm IV. (reg. 1840-1861). 1858 übernimmt Wilhelm I. (reg. 1861-1888) die Regentschaft für seinen erkrankten Bruder. Ihm folgen im so genannten Dreikaiserjahr 1888 zunächst für 99 Tage sein schwerkranker Sohn Friedrich III. (reg. 9.3.-15.6.1888) und schließlich dessen Sohn Wilhelm II. (reg. 1888-1918). Seit 1871 sind die preußischen Könige zugleich Kaiser des Deutschen Reichs.
Die oberste Regierungsgewalt liegt beim König. 1817 wird ein Staatsrat eingerichtet, der aus den königlichen Prinzen, den höchsten Staatsdienern und einigen aus besonderem Vertrauen des Königs berufenen Männern besteht und über die obersten Grundsätze der Verwaltung und über neue Gesetze zu beraten hat. Das im Jahre 1815 gegebene Verfassungsversprechen löst der König zunächst nicht ein, lediglich in den einzelnen Provinzen werden Provinzialstände eingeführt.
Erst aufgrund der revolutionären Ereignisse 1848/49 wird Preußen mit der Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850 konstitutionelle Monarchie. Hinsichtlich der Grund- und Freiheitsrechte trägt die Verfassung mit persönlicher Freiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, Religions-, Auswanderungs- und Pressefreiheit sowie dem Versammlungsrecht durchaus liberale Züge. Der preußische Landtag besteht aus zwei Kammern. Mitglieder der ersten Kammer, seit 1855 Herrenhaus genannt, sind die volljährigen Prinzen der Dynastie, die mediatisierten Standesherren, Vertreter öffentlicher Körperschaften und vom König ernannte Personen. Die Mitglieder der zweiten Kammer, Abgeordnetenhaus genannt, werden nach Dreiklassenwahlrecht ermittelt. Die Kammern haben Mitwirkungsrechte bei der Gesetzgebung und das Budgetrecht. Die Verfassung bleibt in ihren Grundzügen bis zum Ende der Monarchie 1918 in Kraft.

 

Territoriale Aufteilung/Verwaltungsstruktur

Als Oberbehörden bestehen im Königreich Preußen seit 1818 die Provinzen Niederrhein, Jülich-Kleve-Berg, Westfalen, Provinz Sachsen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien, Westpreußen und Ostpreußen. Der Schweizer Kanton Neuenburg (Neuchâtel) ist bis 1857 direkt der preußischen Krone unterstellt. Das Gebiet Neutral-Moresnet bei Aachen wird bis 1831 von Preußen und den Niederlanden und bis 1919 von Preußen und Belgien gemeinsam verwaltet. 1822 werden die Provinzen Jülich-Kleve-Berg und Niederrhein zur Rheinprovinz und 1829 bis 1878 West- und Ostpreußen zur Provinz Preußen zusammengefasst. 1834 verkauft das Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha das Fürstentum Lichtenberg an Preußen. 1850 werden die Fürstentümer Hohenzollern-Hechingen und Hohenzollern-Sigmaringen angegliedert.
1853 kauft Preußen vom Großherzogtum Oldenburg einen Gebietsstreifen am Jadebusen, um dort den Kriegshafen Wilhelmshaven einzurichten. Das bis 1869 Königlich Preußisches Jadegebiet genannte Wilhelmshaven gehört bis 1873 keiner Provinz an und wird durch ein preußisches Admiralitätskommissariat mit Sitz in Oldenburg verwaltet. Im Anschluss wird es in die preußische Provinz Hannover integriert. 1865 bis 1876 ist das Herzogtum Lauenburg in Personalunion mit der preußischen Krone verbunden.
Nach dem preußischen Sieg im Deutschen Krieg 1866 fallen die Herzogtümer Schleswig und Holstein an Preußen, Kurhessen, das Königreich Hannover, das Herzogtum Nassau und die Freie Stadt Frankfurt werden per Gesetz vom 20. September 1866 mit der preußischen Monarchie vereinigt. Im selben Jahr tritt das Großherzogtum Hessen-Darmstadt die Landgrafschaft Hessen-Homburg an Preußen ab. 1867 werden aus den neu hinzugewonnenen Gebieten die Provinzen Hessen-Nassau, Provinz Hannover und Schleswig-Holstein gebildet. 1876 wird Lauenburg in die Provinz Schleswig-Holstein integriert. Ab 1881 bildet die Hauptstadt Berlin eine eigene Provinz. Oberste Gerichtsinstanz ist das Geheime Obertribunal in Berlin.

 

Bevölkerung

Das gesamte Königreich Preußen hat 1818 eine Einwohnerzahl von 10.796.874. Bis 1852 hat sich die Einwohnerzahl um 57% auf 16.935.420, bis 1867 mit den hinzugewonnenen Gebieten um weitere 42% auf 23.971.462 und bis 1900 um weitere 44% auf 34.472.509 erhöht. Der Anteil der Stadtbevölkerung liegt 1855 bei rund 29%. Um 1900 hat sich der Anteil der Stadtbewohner auf 52% erhöht.
Die Hauptstadt Berlin ist die bevölkerungsreichste Stadt Preußens und des Deutschen Reichs. Im Jahre 1825 zählt Berlin 220.277 Einwohner, 1855 hat sich die Einwohnerzahl auf 447.483 verdoppelt und bis 1905 auf 2.040.148 vervierfacht. Die Mehrheit der preußischen Bevölkerung gehört der evangelischen Glaubensrichtung an. Für das Jahr 1852 werden 61% Protestanten, 37% Katholiken und 1,3% Juden angegeben. Bis zum Jahr 1905 hat sich diese Verteilung nur geringfügig auf 62% Protestanten, 36% Katholiken und 1,1% Juden verändert.

 

Wirtschaft

Bodennutzung und Landwirtschaft

Die vornehmlich landwirtschaftlich geprägten Gebiete des Königreichs Preußen liegen im Osten und Norden, insbesondere in den Provinzen Ost- und Westpreußen, Schlesien, Pommern, Hannover und Posen. Angebaut werden in erster Linie Roggen und Hafer, danach Weizen und Gerste. Bedeutend ist auch der Anbau von Kartoffeln und Zuckerrüben, letztere vornehmlich in der Provinz Sachsen. Weinbau wird fast ausschließlich in der Rheinprovinz und in Hessen-Nassau betrieben. Die Forstwirtschaft ist sehr ausgedehnt. Der Wald nimmt rund 25% der Gesamtfläche ein. Die Hauptwaldgebiete sind Hessen-Nassau, Hohenzollern und Brandenburg.
Pferdezucht ist vor allem in den Provinzen Ost- und Westpreußen zu finden. Die besten Rinder werden in den Marschgebieten an der Nordsee, in der Ebene der Rheinprovinz, auf dem Westerwald in Hessen-Nassau, in den Saalkreisen der Provinz Sachsen, den schlesischen Gebirgen sowie in den Niederungen der Oder, Weichsel und Memel gezüchtet. Die meisten Schafe finden sich in der Provinz Pommern. Der Viehbestand beläuft sich Ende 1904 auf 2.964.408 Pferde, 11.156.133 Rinder, 5.660.529 Schafe, 12.563.899 Schweine und 2.116.360 Ziegen.

Bergbau

Der wichtigste Wirtschaftsfaktor in Preußen ist der Bergbau. Der Anteil Preußens an der deutschen Kohleförderung macht 1908 rund 95% aus. Das preußische Staatsgebiet ist in fünf Oberbergamtsbezirke eingeteilt: Das Oberbergamt Breslau umfasst die Provinzen Schlesien, Posen, West- und Ostpreußen. Zum Oberbergamt Halle gehören die Provinzen Sachsen, Brandenburg und Pommern. Dem Oberbergamt Clausthal sind das östliche Hannover, der Regierungsbezirk Kassel und Schleswig-Holstein zugeordnet. Dem Oberbergamt Dortmund gehören das westliche Hannover, der Großteil von Westfalen und die rechtsrheinische Seite des Regierungsbezirks Düsseldorf an und das Oberbergamt Bonn umfasst den größten Teil der Rheinprovinz, den Regierungsbezirk Wiesbaden, Hohenzollern, das ehemalige Herzogtum Westfalen und die Kreise Siegen und Wittgenstein sowie das Fürstentum Waldeck. Die gesamte Bergwerksproduktion ergibt 1904 auf 1.201 Werken mit 569.583 Arbeitern eine Förderung von 144.127.302 Tonnen.
Das wichtigste Mineral ist die Steinkohle, die in fünf größeren Becken in Oberschlesien bei Königshütte, in Niederschlesien bei Waldenburg, in Westfalen und der Rheinprovinz an der Ruhr und der Saar sowie bei Eschweiler gefördert wird. Im Jahre 1850 liegt die Förderquote bei 4.419.271t und erreicht 1913 mit 180.057.671t ihren Höchstwert. Braunkohle ist vor allem in der Provinz Sachsen und in Brandenburg zu finden. Die Förderquote liegt 1850 bei 1.485.081t und erreicht 1913 mit 70.052.124t den Höchstwert. Erdöl liefert Hannover. Eisenerze finden sich in fast allen Provinzen. Der Abbau beträgt 1850 bei 588.232t und steigert sich bis 1913 auf 546.1670t. Reichhaltige Steinsalzlager gibt es bei Staßfurt, Aschersleben, Erfurt und Stetten, Salinenbetrieb vornehmlich in Sachsen, Hannover, Westfalen und der Rheinprovinz.

Gewerbe und Industrie

Im Zuge der Preußischen Reformen wird im Königreich Preußen 1810 die Gewerbefreiheit eingeführt. Die industriereichsten Provinzen sind die Rheinprovinz, Westfalen und Schlesien, gefolgt von Brandenburg, Sachsen und Hessen-Nassau. Die Roheisen- und Stahlproduktion ist vornehmlich in der Rheinprovinz, Westfalen, Schlesien und Hannover angesiedelt. 1867 liegt die Quote bei 915.363t und steigert sich bis 1913 auf 12.260.290t. Die Stahlproduktion hat 1867 eine Quote von 680.281t und erreicht ihren Höchstwert 1911 mit 11.860.373t pro Jahr. Die Textilindustrie hat insbesondere in der zweiten Jahrhunderthälfte enormen Aufschwung genommen. Die wichtigsten Produktionsstätten befinden sich in Schlesien und der Rheinprovinz.

Handel

Handelsmittelpunkte Preußens sind die Verkehrsknotenpunkte Berlin, Köln und Frankfurt/Main. An Messestädten sind neben diesen Frankfurt/Oder, Breslau, Posen, Königsberg, Danzig, Stettin, Magdeburg, Altona, Hannover, Barmen, Elberfeld und Krefeld von Bedeutung. Wollmärkte finden sich in Berlin, Breslau, Königsberg, Posen, Stettin, Landsberg a. d. Warthe, Stralsund, Hildesheim, Paderborn, Kassel und Hannover. Flachs- und Leinwandmärkte in einigen Orten Schlesiens.

Währung, Maße, Gewichte

In Preußen wird bis 1826 nach Talern zu 24 Groschen à 12 Pfennig und danach in Talern zu 30 Silbergroschen à 12 Pfennig gerechnet. Längenmaß ist der preußische Fuß, Flächenmaß die Quadratrute und Handelsgewicht der Zentner.

 

Verkehr

Kunststraßen/Chausseen

Die Länge sämtlicher Chausseen des Königreichs Preußen beläuft sich im April 1900 auf 95.945km, davon sind 32.731km Provinzial-, 46.198km Kreis-, 14.721km Gemeinde- und 2.295km Privatchausseen.

Eisenbahnen

Die ersten Eisenbahnverbindungen im Königreich Preußen werden im Jahre 1838 von Berlin nach Potsdam und von Düsseldorf nach Erkrath fertiggestellt. Königsberg ist erst 1858 an das Eisenbahnnetz angeschlossen. Seit 1842 wird der Ausbau des Eisenbahnnetzes mit staatlichen Mitteln unterstützt. 1846 sind bereits 4.567km Eisenbahnlinien in Betrieb. In den 1860er Jahren wird eine systematische staatliche Eisenbahnpolitik unter der Leitung des Handelsministers und Bankiers August von der Heydt (1801-1874) betrieben. Diese Verkehrspolitik führt dazu, dass schließlich die Hälfte der preußischen Eisenbahnen mittelbar oder unmittelbar in den Besitz des Staates gekommen und das Eisenbahnwesen durch seine Streckenführung und eine fast militärische Präzision des Betriebes auch militärisch verwendbar geworden ist. Die Länge sämtlicher preußischer Eisenbahnen beläuft sich im Betriebsjahr 1903 auf 31.813km, davon 18.631km Hauptbahnen und 13.182km Nebenbahnen. Das Staatsbahnnetz hatte eine Ausdehnung von 29.804km, die Privatbahnen von 2.009km.

Wasserstraßen

Um 1900 hat Preußen 209 schiffbare Flüsse und Kanäle mit einer Gesamtlänge von über 10.000km. Die wichtigsten schiffbaren Flüsse sind Rhein, Elbe, Oder, Weichsel, Peene, Havel, Spree, Weser und Mosel. An wichtigen Kanälen sind 1903 fertiggestellt der Bromberger Kanal (26,3km), der Weichsel und Oder verbindet, der Finowkanal (43,1km) zwischen Oder und Havel, der Friedrich-Wilhelm-Kanal (27km) und der Oder-Spreekanal (100,6km) zwischen Oder- und Elbgebiet, der Kaiser Wilhelm-Kanal (98,6km) der Nord- und Ostsee miteinander verbindet sowie der Dortmund-Emskanal (271,3km). 1905 bewilligt der Landtag den Bau des Mittellandkanals zur Verbindung des Rheins mit der Leine bei Hannover. Der 213km lange Bauabschnitt bis Hannover ist 1916 fertiggestellt. Bis 1938 wird der Kanal bis Magdeburg fortgeführt und ist dann mit einer Gesamtlänge von 321km die längste künstliche Wasserstraße Deutschlands.

See- und Binnenhäfen

Nach Hamburg und Bremen ist der preußische Hafen Stettin der drittgrößte Handelshafen des Deutschen Reichs, gefolgt von Kiel, Flensburg, Danzig und Geestemünde.

 

Kultur und Bildung

Bereits 1717 wird in Preußen die Schulpflicht in den königlichen Domänen eingeführt und mit dem Generallandschulreglement von 1763 auf ganz Preußen ausgedehnt. 1872 wird die Schulaufsicht dem Staat unterstellt: "Infolge der allgemeinen Schulpflicht müssen alle Bewohner ihre nicht anderweit gehörig unterrichteten Kinder vom zurückgelegten 6. bis zum vollendeten 14. Lebensjahr zur öffentlichen Schule schicken." Im Jahre 1901 bestehen in ganz Preußen 36.756 Volksschulen. Für das Jahr 1903 werden zudem 324 Gymnasien, 39 Progymnasien, 93 Realgymnasien, 23 Realprogymnasien, 47 Oberrealschulen und 145 Realschulen mit insgesamt 11.018 Lehrern und 208.949 Schülern angegeben. Im Wintersemester 1904/1905 werden die elf preußischen Universitäten in Berlin, Bonn, Breslau, Göttingen, Greifswald, Halle, Kiel, Königsberg, Marburg, Münster und Braunsberg (Lyzeum Hosianum) von zusammen 19.722 Studierenden besucht. Das Lehrpersonal beläuft sich insgesamt auf 1.725 Personen, darunter 611 ordentliche Professoren.
Mittelpunkt des kulturellen Lebens ist die Hauptstadt Berlin. Mit der 1743 fertiggestellten "königlichen Hofoper" Unter den Linden verfügt Berlin über das erste königliche Theatergebäude und das erste freistehende Opernhaus Deutschlands. Unter den Bibliotheken ist die königliche Staats-Bibliothek in Berlin die bedeutendste. Die wichtigsten Kunstsammlungen bieten in Berlin die Königlichen Museen, das Museum für Völkerkunde, das Kunstgewerbemuseum, die Nationalgalerie für Werke deutscher Meister des 19. Jahrhunderts, das Kaiser-Friedrich-Museum, das Rauch-Museum sowie das Hohenzollern-Museum im Schloss Monbijou. Zudem sind nennenswert die Kunstmuseen und Bildergalerien in Breslau, Kassel, Danzig, Kiel, Stettin, Stralsund, Bonn, Frankfurt/Main, Halle/Saale, Hannover, Wiesbaden, Köln und Düsseldorf. Ferner bestehen um 1900 in Berlin das Postmuseum im Generalpostamtsgebäude, das Hygiene-, das Kolonial-, das Geologische und das Landwirtschaftliche Museum sowie das Museum für Naturkunde.

 

Zugehörigkeit zu Staatengemeinschaften, Zollsystemen und Zollvereinen

Bei den Verhandlungen zur Gründung des Deutschen Bundes auf dem Wiener Kongress wird das Königreich Preußen von Staatskanzler Karl August Fürst von Hardenberg (1750-1822) und dem Geheimen Staatsminister Wilhelm von Humboldt (1767-1835) vertreten. Seit 1815 ist Preußen mit Ausnahme der Provinzen Posen, Westpreußen und Ostpreußen Mitglied des Deutschen Bundes. Im Plenum der Bundesversammlung (Bundestag) führt das Königreich vier Stimmen, im "Engeren Rat" eine eigene Stimme. 1819 schließt Preußen mit dem Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen den ersten Enklavenvertrag, durch den der zum Großteil von der preußischen Provinz Sachsen umgebene Landesteil Sondershausen in das preußische Zollsystem integriert wird. Diesem Beispiel folgen 1823 Anhalt-Bernburg für die Exklave Mühlingen und Sachsen-Weimar-Eisenach für die Exklaven Allstedt und Oldisleben, 1829 Sachsen-Coburg und Gotha für die Exklave Volkenroda und 1831 für das Fürstentum Lichtenberg sowie 1830 Oldenburg für das Fürstentum Birkenfeld.
1826 treten Anhalt-Bernburg, 1828 Anhalt-Köthen und Anhalt-Dessau, 1832 Waldeck und 1842 Pyrmont in Gänze dem preußischen Zollsystem bei. Am 1. Juli 1828 tritt der Hessisch-Preußische Zollverband mit dem Großherzogtum Hessen-Darmstadt in Kraft, dem sich 1832 auch Kurhessen anschließt. 1834 ist Preußen Gründungsmitglied des Deutschen Zollvereins. Im Zuge der revolutionären Ereignisse 1848/49 und den Wahlen zur ersten deutschen Nationalversammlung sind die preußischen Provinzen Posen, Westpreußen und Ostpreußen von 1848 bis 1851 ebenfalls im Deutschen Bund vertreten. Die Provinz Posen wird allerdings nur für die Gebietsteile mit überwiegend deutscher Bevölkerung aufgenommen, die westlich einer mehrmals verschobenen Demarkationslinie lagen.
Auf Betreiben Preußens bildet sich 1867 der Norddeutsche Bund, dessen Kanzler gleichzeitig preußischer Ministerpräsident ist. Ebenfalls auf preußische Initiative hin wird 1871 das Deutsche Reich gegründet. Deutscher Kaiser ist in Personalunion der preußische König, Reichskanzler wiederum der preußische Ministerpräsident. Als Bundesstaat des Deutschen Reiches hat Preußen im Bundesrat 17 Stimmen und entsendet 236 Abgeordnete in den Reichstag.

 

Territoriale Entwicklung ab 1914/Kulturerbe

Im Zuge der revolutionären Ereignisse im November 1918 gibt Reichskanzler Max von Baden (1867-1929) eigenmächtig den Rücktritt des preußischen Königs und deutschen Kaisers Wilhelm II. (1859-1941) bekannt. Am 10. November flieht Wilhelm II. in die Niederlande, verzichtet aber erst am 28. November 1918 offiziell auf den deutschen und den preußischen Thron.
Durch die Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages vom 28. Juni 1919 verliert Preußen mit dem Großteil der Provinz Posen, Teilen Westpreußens und Schlesiens sowie dem ostpreußischen Soldau große Teile seines Staatsgebiets an Polen. Zudem wird Danzig als Freie Stadt dem Völkerbund unterstellt. Nach Volksabstimmungen fallen Nordschleswig an Dänemark und Eupen-Malmedy an Belgien. Das Hultschiner Ländchen wird der neugegründeten Tschechoslowakei und das Saargebiet Frankreich angegliedert. Die Präsidialstellung Preußens im Deutschen Reich und die Personalunion von Reichskanzler und preußischem Ministerpräsidenten werden beseitigt und durch die Verfassung vom 30. November 1920 ein demokratisch-parlamentarischer Freistaat Preußen geschaffen. 1922 schließen sich Pyrmont, 1929 Waldeck an Preußen an und werden in die Provinz Hannover integriert.
Mit dem Staatsstreich gegen Preußen, dem so genannten Preußenschlag von 1932, wird die im Gegensatz zur Reichsregierung sehr stabile Staatsregierung in Preußen beseitigt und ab 1934 nahezu alle Ministerien mit den Reichsministerien zusammengelegt. Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 erhält Preußen das Amt Ritzebüttel mit Cuxhafen sowie die Exklaven Geesthacht, Großhansdorf und Schmalenbeck und tritt dafür die Städte Altona, Harburg und Wandsbeck an Hamburg ab. Lübeck wird der Provinz Schleswig-Holstein angegliedert. Die oldenburgischen Landesteile Lübeck und Birkenfeld gehen an Preußen, das im Gegenzug Wilhelmshaven abtritt.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wird Preußen am 25. Februar 1947 mit dem alliierten Kontrollratsgesetz Nr. 46 als Staat formell aufgelöst. Seine Gebiete verteilen sich auf die deutschen Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Niedersachsen, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sowie Polen und die Sowjetunion.
Dem preußischen Kulturerbe widmen sich die von Bund und Ländern gemeinsam finanzierte Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit Sitz in Berlin sowie die Stiftung preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg mit Sitz in Potsdam. Seit 1990 zählen die ehemalige Residenz der preußischen Könige Sanssouci, Schloss Cecilienhof, Schloss Babelsberg, die Sacrower Heilandskirche, die Berliner Pfaueninsel sowie Schloss und Park Glienicke zum Weltkulturerbe der UNESCO. Seit 2001 widmet sich das "Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte" (HBPG) der 900jährigen Landesgeschichte.

 

Verwendete Literatur