III Dokumentation und Datensätze

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Regierungsbezirke

 

Regierungsbezirk Marienwerder (1820-1914)

 

Geschichte/Verwaltung/Geographie

Der preußische Regierungsbezirk Marienwerder wird auf der Grundlage der "Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden vom 30. April 1815" als Mittelbehörde der Provinz Westpreußen gegründet, Regierungssitz ist Marienwerder. Im Norden grenzt der Regierungsbezirk an den ebenfalls zu Westpreußen gehörenden Regierungsbezirk Danzig, im Osten an den zur preußischen Provinz Ostpreußen gehörenden Regierungsbezirk Königsberg sowie das in Personalunion mit Russland verbundene Königreich Polen, im Süden an den zur preußischen Provinz Posen gehörenden Regierungsbezirk Bromberg und im Westen an den zur preußischen Provinz Brandenburg gehörenden Regierungsbezirk Frankfurt/Oder und den zur preußischen Provinz Pommern gehörenden Regierungsbezirk Köslin.

1820 ist der Regierungsbezirk in die Kreise Flatow, Graudenz, Konitz, Deutsch Krone, Kulm, Löbau, Marienwerder, Rosenberg, Schlochau, Schwetz, Strasburg, Stuhm und Thorn untergliedert. 1875 wird der Kreis Konitz in die Kreise Konitz und Tuchel geteilt. Der Kreis Briesen wird 1887 aus Teilen der Kreise Graudenz, Kulm, Strasburg und Thorn gebildet. Ab 1900 bilden die Städte Graudenz und Thorn jeweils einen eigenen Stadtkreis.

Für den Regierungsbezirk Marienwerder wird 1821 eine Fläche von 319 Quadratmeilen angegeben. Der GIS-Wert beträgt 17.621km² für das Jahr 1820. Der Regierungsbezirk besteht aus weiten, von Anhöhen des Baltischen Landrückens unterbrochenen Ebenen, welche sowohl aus Marschland, als auch aus Heide- und Sandboden sowie großen Waldgebieten bestehen. Hauptflüsse sind Weichsel mit Drewenz und Ossa sowie Lobsonka und Küddow. Unter den zahlreichen Seen ist der größte der Geserichsee.

 

Bevölkerung/Wirtschaft/Verkehr

Im Jahr 1820 liegt die Einwohnerzahl des Regierungsbezirks Marienwerder bei 379.062. Bis 1850 nimmt sie um 66% auf 630.405 zu und erhöht sich bis 1905 um weitere 48% auf 932.434.

Haupterwerbszweig des Regierungsbezirks Marienwerder ist die Landwirtschaft. An Getreide werden vornehmlich Roggen, Hafer und Gerste angebaut. In der Umgebung von Marienwerder und im Kreis Deutsch-Krone wird auch Tabak gepflanzt. In der Viehwirtschaft stehen Rinder- und Schafzucht im Vordergrund. Große Bestände an Laub- und Nadelwäldern haben eine florierende Forstwirtschaft hervorgebracht. In dem ausgedehnten, sich über 100km erstreckenden fast unbesiedelten Gebiet der Tucheler Heide findet sich im Kreis Schwetz der größte Eibenbestand Deutschlands. In geringen Mengen wird Braunkohle gefördert. Der Schwerpunkt der wenig entwickelten Industrie liegt mit Sägewerken, Mühlen-, Zucker- und Maschinenfabriken auf der Verarbeitung land- und forstwirtschaftlicher Produkte sowie der Herstellung dafür notwendiger Maschinen. Im Textilgewerbe liegt der Schwerpunkt auf Leineweberei, die vornehmlich im Nebenerwerb betrieben wird und vor allem in der kulmschen und neuenburgschen Niederung angesiedelt ist. 1846 sind im Nebenerwerb 16.445 und in der gewerblichen Leineweberei nur 226 Webstühle im Einsatz. Handelstätte sind Thorn und Graudenz.

Das Chausseenetz des Regierungsbezirks gewährt Anschluss über Dirschau an Danzig, über Bromberg an Berlin und über Marienburg an Ostpreußen. Bis 1870 werden, beginnend mit der 1828 fertiggestellten Handelsstraße Ruschendorf-Konitz-Dirschau 217 Chausseemeilen gebaut. Die 1852 fertiggestellte Eisenbahnstrecke Bromberg-Dirschau-Danzig der Königlich Preußischen Ostbahn führt durch den Regierungsbezirk Marienwerder. Als erste Stadt des Regierungsbezirks wird 1862 Thorn an das Eisenbahnnetz der Strecke Bromberg-Warschau angeschlossen. 1871 erhält Flatow Bahnanschluss über die Verbindung von Dirschau im Regierungsbezirk Danzig nach Schneidemühl im Regierungsbezirk Bromberg. 1873 wird die Strecke Frankfurt/Oder-Posen-Thorn dem Verkehr übergeben, 1882/83 schließt die Weichselstädtebahn Thorn direkt an Danzig an. Die Bezirkshauptstadt Marienwerder erhält erst 1883 über die Strecke Graudenz-Marienwerder-Marienburg Bahnanschluss. Einzige Schiffbare Wasserstraße des Regierungsbezirks ist die Weichsel mit einem Hafen in Thorn.

 

Kultur/Territoriale Entwicklung ab 1914/Kulturerbe

Weit mehr als seine Hauptstadt Marienwerder ist die im Süden des Bezirks gelegene Großstadt Thorn, die 1231 als erste Stadt des Deutschen Ordens im Kulmerland gegründet wurde, geistiger und kultureller Mittelpunkt des Regierungsbezirks. Die mittelalterliche Altstadt, der Dom und die Stadtmauer prägen das Stadtbild auch im 19. Jahrhundert. Seit 1853 erinnert das von Christian Friedrich Tieck (1776-1851) geschaffene Kopernikus-Denkmal an den in Thorn geborenen Astronom Nikolaus Kopernikus (1473-1543). Das Thorner Stadttheater wird in den Jahren 1903-1904 von dem damals im mitteleuropäischen Theaterbau führenden Wiener Architektenbüro Fellner & Helmer erbaut.

Gemäß den Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages vom 28. Juni 1919 wird der Regierungsbezirk Marienwerder nach Ende des Ersten Weltkriegs aufgelöst. Die Kreise Briesen, Kulm, Graudenz-Stadt, Schwetz, Strasburg in Westpreußen, Thorn-Stadt, Thorn-Land und Tuchel werden in Gänze Polen angegliedert, die Kreise Flatow, Graudenz-Land, Konitz, Löbau, Marienwerder, Rosenberg in Westpreußen und Schlochau nur teilweise. Die Restkreise Marienwerder (vereinigt mit einem Rest des Kreises Graudenz-Land), Rosenberg in Westpreußen (vereinigt mit einem Rest des Kreises Graudenz-Land und einem Rest des Kreises Löbau) sowie der vollständige Kreis Stuhm gehen an den in der Provinz Ostpreußen neuzubildenden Regierungsbezirk Westpreußen. Die Restkreise Flatow, Konitz und Schlochau sowie der Kreis Deutsch Krone werden der neuzubildenden Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen angegliedert. 1939 wird im neu gebildeten Reichsgau Westpreußen, seit dem 2. November 1939 Reichsgau Danzig-Westpreußen genannt, erneut ein Regierungsbezirk Marienwerder eingerichtet. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 wird das Gebiet polnischer Verwaltung unterstellt.

Marienwerder (poln. Kwidzyn) ist heute eine Kreisstadt in der polnischen Woiwodschaft Pommern. Seit 1997 zählt die Altstadt von Thorn (poln. Torun) zum Weltkulturerbe der UNESCO.

 

Verwendete Literatur