III Dokmentation und Datensätze

Staatenwelten

Thüringischer Zoll- und Handelsverein (1833-1914)

 

Gebiet

Der "Zoll und Handelsverein der Thüringischen Staaten" wird am 10. Mai 1833 auf Vorschlag des Königreichs Preußen gegründet. Am 11. Mai 1833 treten die Mitglieder des Thüringischen Zoll- und Handelsvereins gemeinsam dem Deutschen Zollverein bei, in dem sie auch nur über eine gemeinsame Stimme verfügen. Die Verträge beider Zollverbünde treten am 1. Januar 1834 in Kraft.
Der Thüringische Zoll- und Handelsverein grenzt im Norden an Preußen, im Osten an das Königreich Sachsen, im Süden an das Königreich Bayern und im Westen an das Kurfürstentum Hessen-Kassel.
Gründungsmitglieder sind Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg und Gotha, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Reuß ältere Linie (Reuß-Greiz), Reuß-Schleiz, Reuß-Lobenstein und Ebersdorf, Kurhessen für die Exklave Schmalkalden und Preußen mit Stadt- und Landkreis Erfurt sowie den exklavierten Kreisen Schleusingen und Ziegenrück.
Verwaltungssitz des Thüringischen Zoll- und Handelsvereins ist Erfurt.

 

Geographie/Topographie

Für den Thüringischen Zoll- und Handelsverein wird 1834 eine Fläche von 229,83 Quadratmeilen angegeben. Der GIS-Wert beträgt 12.722 km².
Das Vereinsgebiet liegt in Thüringen und ist überwiegend gebirgig, zum Teil hügelig. Hauptgebirge sind der Thüringer Wald, der das Gebiet von Südosten nach Nordwesten durchzieht, und das im Südwesten gelegene Rhöngebirge. Höchste Erhebung ist der 983m hohe Große Beerberg im Thüringer Wald. Im Norden und Nordosten finden sich fruchtbare Ebenen, insbesondere die Ausläufer der Leipziger Bucht im Altenburger Land.
Die wichtigsten Flüsse sind Werra und Saale.
Das Klima ist insgesamt gesund, im Saaltal und in den nördlichen Gegenden ist die Luft mild, rauer hingegen in den Gegenden des Rhöngebirges und des Thüringer Waldes.

 

Vorgeschichte/Aufbau und Struktur

Die thüringischen Kleinstaaten, die im eigenen Interesse untereinander kaum Zölle erhoben hatten, waren von dem preußischen Zollgesetz von 1818 insofern stark betroffen, als Preußen die Exklaven Nordthüringens wie Zollinnenland behandelte und somit die weimarischen, gothaischen und schwarzburgischen Exklaven von ihren Staaten abgeschlossen waren. Notgedrungen traten in der Folge Schwarzburg-Sondershausen (1819) und Schwarzburg-Rudolstadt (1822) sowie Sachsen-Weimar-Eisenach (1823) für ihre exklavierten Landesteile dem preußischen Zollsystem bei.
Auf den drei Arnstädter Konferenzen (1821-1823) vereinbarten die thüringischen Staaten zwar ein einheitliches Vorgehen und konzipierten einen "Thüringer Handelsverein", der auf gänzlicher Zoll- und Handelsfreiheit basieren sollte, dieser kam aber zunächst nicht zustande. In Reaktion auf die Gründung des Bayerisch-Württembergischen und des Preußisch-Hessischen Zollvereins schlossen sie sich 1828 dem Mitteldeutschen Handelsverein an, der aber auf Dauer dem preußischen Druck nicht gewachsen war.
So einigten sich die thüringischen Staaten unter preußischer und Sachsen-Weimar-Eisenacher Führung am 10. Mai 1833 auf die Gründung eines "Zoll- und Handelsvereins der Thüringischen Staaten", der einen Tag später dem Deutschen Zollverein beitrat.
Wie der Deutsche Zollverein wird auch der Thüringische Zoll- und Handelsverein zunächst auf eine Laufzeit von acht Jahren befristet. An Stelle der alten Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchgangszölle werden die preußischen Zölle eingeführt und deren Ertrag nach der Einwohnerzahl auf die einzelnen Staaten verteilt. Im Gegensatz zum Deutschen Zollverein besitzt der Thüringische eine eigene überstaatliche Verwaltung unter Leitung eines Generalzollinspektors sowie eine Versammlung der Bevollmächtigten, die nach Mehrheitsbeschluss entscheidet. Beide Einrichtungen haben ihren Sitz in Erfurt.
Mit dem Gründungsvertrag von 1833 wird Thüringen zu einem einheitlichen Handelsgebiet mit freiem inneren Verkehr und gemeinschaftlicher Erhebung von Zöllen und indirekten Steuern. Die Mitgliedsstaaten verlängern den Gründungsvertrag 1841 bzw. 1852 ohne Änderungen und vereinbaren schließlich, dass der Vertrag sich alle zwölf Jahre automatisch verlängert, wenn er nicht ausdrücklich aufgekündigt wird.

 

Mitgliedschaft/Territoriale Entwicklung

Mitglieder des Thüringischen Zoll- und Handelsvereins sind die thüringischen Staaten des Deutschen Bundes. Staaten die außerhalb Thüringens liegen, sind nur für ihre thüringischen Exklaven Mitglieder, und umgekehrt gehören Gebietsteile von Mitgliedstaaten, die außerhalb Thüringens liegen, zu anderen Zollsystemen.
Das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach ist ohne die Exklaven Allstedt und Oldisleben, die unter preußischer Zollverwaltung stehen, und ohne die Exklave Lichtenberg, die unter bayerischer Zollverwaltung steht, Mitglied. Sachsen-Coburg und Gotha ist ohne die Exklaven Nassach, Erlsdorf und Königsberg, die unter bayerische Zollverwaltung fallen sowie ohne Volkenrode und das Fürstentum Lichtenberg, die unter preußische Zollverwaltung fallen, vertreten. Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen gehören für ihre jeweilige Oberherrschaft zum Thüringischen Zoll- und Handelsverein und für ihre jeweilige Unterherrschaft zur preußischen Zollverwaltung. Hessen-Kassel ist für die Exklave Schmalkalden Mitglied, Preußen für Erfurt und die exklavierten Kreise Schleusingen und Ziegenrück. Bayern erklärt seinen Beitritt für die Exklave Kaulsdorf am 11. Mai 1833 im Schlussprotokoll des Vertrags zum Deutschen Zollverein. Sachsen-Altenburg, Sachsen-Meiningen, Reuß ältere Linie (Reuß-Greiz), Reuß-Schleiz sowie Reuß-Lobenstein und Ebersdorf sind für alle ihre Gebietsteile sowie das Kondominat Fürstentum Gera in das thüringische Zollsystem eingebunden.
Der Thüringische Zoll- und Handelsverein umfasst als Wirtschaftsraum die gesamte thüringische Staatenwelt des 19. Jahrhunderts. Die Einheit der so genannten Thüringischen Vereinsstaaten wird deshalb - mit Ausnahme Coburgs und der preußischen Enklaven - Grundlage des 1919 gegründeten Landes Thüringen.

 

Bevölkerung und Wirtschaftspolitik

Für das Gründungsjahr 1834 wird eine Bevölkerungszahl von 908.478 angegeben. Bis 1855 steigert sich die Einwohnerzahl lediglich um 5% auf 1.025.642. In der zweiten Jahrhunderthälfte liegt der Bevölkerungszuwachs höher, so steigert sich die Einwohnerzahl bis 1905 um 47% auf 1.503.125.

In wirtschaftlicher Hinsicht bringt das vergrößerte Zollgebiet des Deutschen Zollvereins den thüringischen Staaten zunächst überwiegend Nachteile. Die thüringischen Waren werden auf den nun zugänglichen Märkten kaum benötigt, der bislang zollfreie Weg zu den Nordseehäfen ist bis zum Beitritt Hannovers 1854 unterbrochen und die Lebenshaltung wird wesentlich verteuert, da die Steuerbelastung enorm ansteigt. Da im salzreichen Thüringen Salz bislang steuerfrei war, wird insbesondere die Salzsteuer als große Belastung empfunden, und ihre Abschaffung eine der Hauptforderungen der Revolution von 1848/49. Insgesamt gesehen fördern die handelspolitischen Rahmenbedingungen jedoch die Integration des Wirtschaftsraumes Thüringen und führen zur intensivierten Zusammenarbeit der Einzelstaaten.

Verwendete Literatur