III Dokumentation und Datensätze

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Regierungsbezirke

 

Regierungsbezirk Gumbinnen (1820-1914)

 

Geschichte/Verwaltung/Geographie

Der preußische Regierungsbezirk Gumbinnen wird auf der Grundlage der "Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden vom 30. April 1815" als Mittelbehörde der Provinz Ostpreußen gegründet, Regierungssitz ist Gumbinnen. Im Norden grenzt der Regierungsbezirk an den Landkreis Memel des Regierungsbezirks Königsberg, im Nordosten an das Kaiserreich Russland, im Osten und Süden an das in Personalunion mit Russland verbundene Königreich Polen, im Westen an den Regierungsbezirk Königsberg, und im Nordwesten an das Kurische Haff. 1820 ist der Regierungsbezirk in die Kreise Angerburg, Darkehmen, Goldap, Gumbinnen, Heydekrug, Insterburg, Johannisburg, Lötzen, Lyck, Niederung, Oletzko, Pillkallen, Ragnit, Sensburg, Stallupönen und Tilsit untergliedert. Ab 1896 bildet Tilsit, und ab 1902 auch Insterburg einen eigenen Stadtkreis. Mit Wirkung vom 1. November 1905 gibt der Regierungsbezirk Gumbinnen die Kreise Johannisburg, Lötzen, Lyck und Sensburg an den neuzubildenden Regierungsbezirk Allenstein ab.

Für den Regierungsbezirk Gumbinnen wird 1821 eine Fläche von 298 Quadratmeilen angegeben. Der GIS-Wert beträgt 15.795km² für das Jahr 1820. Der Regierungsbezirk bildet eine abwechslungsreiche Landschaft aus Seen (insbesondere Mauer-, Löwentiner- und Spirdingsee), Morästen, Waldgebieten, Höhen und der sehr fruchtbaren Niederung entlang der Memel und ihrer Seitenarme. Die wichtigsten Flüsse sind Memel, Nemonien, Gilge und Pregel.

 

Bevölkerung/Wirtschaft/Verkehr

Im Jahr 1820 liegt die Einwohnerzahl des Regierungsbezirks Gumbinnen bei 426.253. Bis 1850 nimmt sie um 46% auf 623.293 zu und erhöht sich bis 1904 um weitere 28% auf 798.860. Nach Abtretung einiger Kreise an den neugebildeten Regierungsbezirk Allenstein 1905 verringert sich die Einwohnerzahl um 24% auf 603.485.

Im Ackerbau überwiegen Roggen-, Hafer- und Kartoffelanbau. Bei Tilsit wird erfolgreich Tabak angebaut. Neben dem Ackerbau sind Viehzucht, Milchwirtschaft und Käserei (Tilsiter Käse) sowie Forstwirtschaft die bedeutendste Einnahmequelle des Regierungsbezirks. Von Weltruf ist die Pferdezucht mit dem Hauptgestüt zu Trakehnen und den Landgestüten zu Insterburg und Gudwallen bei Darkehmen. An Mineralien gibt es etwas Eisenerz (in Form von Raseneisenerz) sowie Ton und Torf. Leineweberei ist im Nebenerwerb sehr verbreitet. Allein im Jahre 1843 sind rund 41.000 Webstühle in Betrieb. Die wenig entwickelte Industrie beschränkt sich auf die Verarbeitung der minder wertvollen Mineralien wie Ton, Sand, Kies, Steine und Torf, auf die Umwandlung der Erzeugnisse der Land- und Forstwirtschaft und auf die Herstellung der für diese beiden Erwerbszweige erforderlichen Maschinen.

Über Chausseen sind seit 1832 Tilsit, seit 1835 Insterburg und bis 1848 auch Gumbinnen mit der ostpreußischen Hauptstadt Königsberg und der russischen Grenze verbunden. 1853 ist die Chausseeverbindung von Tilsit nach Memel fertiggestellt.
Ein Eisenbahnnetz entsteht vergleichsweise spät. Erst 1860 ist die Eisenbahnstrecke Königsberg-Insterburg-Gumbinnen bis Eydtkuhnen an der russischen Grenze fertiggestellt. Seit 1865 besteht eine Bahnverbindung zwischen Insterburg und Tilsit, seit 1868 zwischen Lyck und Königsberg, seit 1875 zwischen Memel und Tilsit und seit 1880 zwischen Lyck und Insterburg. Schiffbare Wasserstraßen sind Memel, Pregel und die Masurischen Wasserstraßen. Bis 1834 werden der Seckenburger Kanal und der Große Friedrichsgraben zur Verbindung der Flüsse Pregel und Memel ausgebaut. Häfen und Durchgangsstellen gibt es in Tilsit an der Memel, in Insterburg am Pregel sowie in Angerburg, Lötzen, Nikolaiken und Johannisburg an den Masurischen Wasserstraßen.

 

Kultur/Territoriale Entwicklung ab 1914/Kulturerbe

Weit mehr als die Hauptstadt Gumbinnen sind die alten Deutschordensstädte Tilsit und Insterburg geistige und kulturelle Zentren des Regierungsbezirks, mit höheren Schulen und Theatern sowie Geschichts- und Literaturvereinen. In Tilsit gibt es neben einem Gymnasium und einem Realgymnasium ein Lehrerinnenseminar und ein Konservatorium für Musik. Im Stadtzentrum erinnert ein von Gustav Heinrich Eberlein (1847-1926) gestaltetes Denkmal an die preußische Königin Luise, die 1807 bei einem persönlichen Treffen mit Napoleon in Tilsit vergeblich versucht hatte, ihm Zugeständnisse an das im 4. Koalitionskrieg unterlegene Preußen abzuringen. Insterburg hat ein Gymnasium mit angeschlossenem Realgymnasium, eine Altertumsgesellschaft mit Museum sowie einen landwirtschaftlichen Zentralverein für Litauen und Masuren mit Versuchsstation. In der Stadt Gumbinnen befinden sich ein Gymnasium mit Realschule und eine landwirtschaftliche Winterschule.

Nach Ende des Ersten Weltkriegs verliert der Regierungsbezirk durch die Bestimmungen des Versailler Vertrags vom 28. Juni 1919 die rechts der Memel gelegenen Gebiete der Kreise Heydekrug, Niederung, Ragnit sowie Tilsit-Land. Die Stadt Tilsit verbleibt bei Preußen. Zusammen mit dem zum Regierungsbezirk Königsberg gehörenden Landkreis Memel wird das nun Memelgebiet genannte Land dem Völkerbund unterstellt und 1923 an Litauen übergeben, wo es den Status eines autonomen Gebiets unter litauischer Aufsicht erhält. Nach Abtretung des Memelgebiets an das Deutsche Reich 1939 wird es als Ganzes in den Regierungsbezirk Gumbinnen integriert. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wird das Memelgebiet der litauischen Sowjetrepublik angegliedert. Der verbleibende nördliche Teil des Regierungsbezirks Gumbinnen wird sowjetischer Verwaltung, der südliche um die Kreise Goldap und Angerburg polnischer Verwaltung unterstellt.

Die Städte Gumbinnen (russ. Gussew), Insterburg (russ. Tschernjachowsk) und Tilsit (russ. Sowetsk) liegen heute in der russischen Exklave Kaliningrad (bis 1946 Königsberg) zwischen Polen und Litauen. Gumbinnen ist Verwaltungssitz eines Rajons, Tilsit kreisfreie Stadt. Die an die preußische Königin Luise (1776-1810) erinnernde Königin-Luise-Brücke in Tilsit ist heute einer der wichtigsten Grenzübergänge im Straßenverkehr zwischen Russland und Litauen.

 

Verwendete Literatur